Explizites Denken: Erster Schritt zu mehr Wertschätzung des Lebens
Zurück zu den Ursprüngen des Lebens
Machen wir eine Zeitreise zurück in die Vergangenheit und zwar zu dem Moment, als das Leben auf Erden begann. Führen wir uns vor Augen, wie es damals vor 3.8 Milliarden Jahren auf der Erde aussah:
’Es war eine Welt aus Wasser und Stein. Mächtige Vulkane ragten aus dem Ozean, pumpten Kohlendioxid in die Luft. Die Felsen waren schwarz und kahl, schartig zerfressen vom sauren Regen. Die Verwitterung zerlegte sie schnell. Sie löste auf, was nicht beständig war, und schaffte den Rest in unzähligen, wie wilde Haarsträhnen verworrenen Rinnsalen, Bächen und Strömen ins Meer. Schwer lastete die Atmosphäre auf allem, bleiern, kaum dass der Wind sich regte. Obwohl der Mond sich seit seiner feurigen Entstehung schon ein Stück von der Erde entfernt hatte, zog er immer noch mit so grosser Kraft an ihr, dass Erdbeben die Gezeiten begleiteten. Er stand am Himmel, bedrohlich nah, fast als könnte man ihn greifen’ (Röhrlich 2012).
Spiegeln mit der heutigen Lebenswelt
Explizites Denken kann bedeuten, dass wir unsere heutige Lebenswelt mit der Welt spiegeln, bevor alles begann. Somit führen wir uns vor Augen, dass sich seither einiges abgespielt hat und wir das vorläufige Ende eines Prozesses erleben, der unsere Vorstellungskraft bei Weitem übersteigt. Tatsache ist, dass es der Natur gelang, aus unbelebter Materie Stoffe zu entwickeln, die miteinander in Kontakt traten und durch immer wieder neue Formationen schliesslich zu (bio-)chemischen Abläufen führten, die eine nicht mehr zu stoppende Eigendynamik entwickelten. Alles begann irgendwann im Archaikum (4 – 2.5 Milliarden Jahre vor Chr.), einer Zeitperiode, die dem Hadaikum (4.6 – 4.0 Milliarden Jahre vor Chr.) folgte und 1.5 Milliarden Jahre dauerte – also vor unendlich langer Zeit.
Vermutlich experimentierte die Natur während rund einer halben Milliarde Jahre (!) herum, bis es dann soweit war. Für unsere Begriffe stand ihr also unbegrenzt viel Zeit zur Verfügung, was bedeutet, dass es beinahe zwingend irgendeinmal zur Zündung von Leben kam, da ja alle Elemente dafür zur Verfügung standen. Als geeignetes Labor für die Entwicklung von Molekülen, die für die Entstehung von Leben nötig sind, gilt der Meeresboden, da die tödlichen UV-Strahlen der Sonne (damals gab es noch keine Ozonschicht) nicht bis dahin drangen und dort von den zahllosen Meteoriteneinschlägen wenig zu spüren war. Heisse Quellen dienten als Chemiereaktoren: Es gab Druck, Hitze, und die nötigen Elemente, aus denen Lebewesen entstehen konnten, nämlich insbesondere Stickstoff, Sauerstoff, Kohlenstoff und Wasserstoff, die in grossen Mengen überall im Universum vorkamen und immer noch vorkommen. Diese Elemente wiederum sind das Produkt schrittweiser Kernverschmelzungen in grossen, heissen Sternen, die in Form von Supernovae explodierten und somit Gaswolken überall in der Milchstrasse entstehen liessen. Dieses Material, das in Sternen erbrütet wurde, war damals auf der Erde in grossen Mengen vorhanden, wie auch Gesteinsoberflächen, an denen eine Vielzahl von Reaktionen ablaufen konnten.
Es ist aber durchaus auch möglich, dass Moleküle aus dem Weltraum die ‚Samen des Lebens’ auf der Erde waren, denn in all den Milliarden vor der Entstehung der Erde haben sich in den riesigen Staubwolken des Alls viele organische Stoffe gebildet, die sich in den tiefgefrorenen Kometen erhalten haben könnten, die mit der Erde zusammenstiessen (Wagner 2015, Lesch 2019).
Unfassbarer Zeitaufwand für die Herstellung der Gegenwart
Wir stellen also fest, dass die Welt ursprünglich ein sehr ungemütlicher Ort war. Der Vergleich mit dem Anfang der Erdgeschichte lässt eine erste Bewertung des heutigen Lebens zu, gemessen am Zeitaufwand für die ‚Herstellung’ der Gegenwart, der ja in die Milliarden geht. Wer sich solchen Überlegungen hingibt darf auch stolz sein – nur der (explizit denkende) Mensch ist wohl in der Lage, die Leistung der Natur (gemeinhin als Schöpfung bezeichnet) in dieser umfassenden Weise erkennen und wertschätzen und somit die eigene Position innerhalb des Weltgeschehens in einer umfassenden Form definieren zu können.